Kunst und Kapital
Das Zusammenwirken von Kultur und Ökonomie in Gentrificationprozessen
1. Einleitung
Gentrification, die »Veredelung« von Wohnvierteln ist seit Jahrzehnten ein zentrales Topos der Stadtforschung. 1964 als Begriff von der britischen Soziologin Ruth Glass eingeführt, um den Wandel von Arbeiter- und Armenwohnvierteln zu Oasen urbanen Chics zu erklären, ist der Prozess selbst inzwischen zu einem weltweiten Phänomen geworden, das sich von New York über Vilnius bis Plagwitz beobachten lässt. In einer einfachen Definition kann man Gentrification als Wandel eines von statusniedrigen Bevölkerungsgruppen bewohnten Quartiers zu einem Wohnort statushöherer Bevölkerungsgruppen mit dem Mittel marktgesteuerte Verdrängung bezeichnen. Die Lehrbuchversion von Gentrification läuft dabei in etwa wie folgt ab: Ein unsaniertes und von Armen bewohntes Wohnviertel wird von Künstlern, Studenten und Subkulturen »entdeckt«, die dort Bars, Galerien und Szenekneipen etablieren. Dadurch kriegt das Viertel ein neues Image, das es auch als Wohnstandort für besser Verdienende attraktiv macht. Die damit verbesserte Marktposition schlägt sich in Immobilileninvestitionen, Sanierungsmaßnahmen und schließlich Mietsteigerungen nieder, die zu einer Verdrängung der Armen und zu einem kompletten Wandel des Charakters der Nachbarschaft führen. Über den Umweg des Szeneviertels ist damit aus einem Armen- ein Besserverdienenden-Viertel geworden.
Eine Schlüsselrolle nehmen in diesem Prozess Künstler und Kulturtreibende ein. Sie sind gewissermaßen die tragische Gestalt der Gentrification, denn sie sorgen regelmäßig durch ihre Aktivitäten erst für die notwendige symbolische Aufwertung von Vierteln, und werden schließlich ebenso regelmäßig zu ihrem Opfer, wenn sie die getiegenen Wohnungs- und Gewerbemieten nicht mehr zahlen können. Obwohl die Beobachtung, dass Künstler an Gentrifizierungsprozessen beteiligt sind, in den gängigen Studien, unbestritten ist und das Auftreten von Künstlern oft sogar als typisches Merkmal von Gentrification gilt, ist die Frage warum Künstler diese Rolle spielen, oft unterbelichtet geblieben.
In weiten Teilen der gängigen Gentrificationliteratur werden Künstler einfach summarisch den »Pionieren« zugeordnet, die heruntergekommene Wohnviertel »entdecken«, ihren Ruf wieder aufbessern und damit den Zuzug einer besser verdienenden Klientel motivieren. Die Rolle von Künstlern in Gentrificationprozessen wird dabei meist, mehr oder weniger explizit im Rahmen eines Zwei-Phasen-Modells verortet, bei dem sie zunächst für das »Flair« eines Viertels sorgen und später dem dadurch ausgelösten Aufwertungsdruck unterliegen[1]. In weiten Teilen der Forschungslandschaft geraten Künstler damit vor allem als Indikatoren für Aufwertungsprozesse in den Blick der Analyse. Zusammen mit anderen Gruppen fungiert ihre Konzentration in einem bestimmten Raum sozusagen als eine Art »Gentrifizierungspegel«. Die Gründe für diese Auswahl bleiben dabei oft unterbelichtet, die Auswahl der betrachteten erscheint Gruppen willkürlich, mitunter sogar skuril. Einige Beispiele aus der deutschen Wissenschaftslandschaft mögen dies verdeutlichen: Friedrichs (2000, S. 59) bezeichnet so »Studenten, Künstler und Fotografen« zusammen als »Pioniere«, welche die erste Phase der Gentrification tragen. Häußermann/Siebel subsumieren Kunstproduzenten etwas verschwommen unter den Termini »Alternative« oder »Angehörige der Szene« (Häußermann/ Siebel 1987, S. 1ff.) Ilse Helbrecht (Helbrecht 1997, S. 4) zählt »Straßenmusikanten und Jongleure« neben Shopping Malls und Straßencafés als wichtige Merkmale der Veränderung auf.
Künstler scheinen also einerseits irgendwie ein inhärenter Bestandteil von Gentrifizierungsprozessen zu sein, andererseits wird kaum klar, warum dies so ist und worin ihre Besonderheit gegenüber anderen Gruppen besteht. Kleinster gemeinsamer Nenner der Beiträge scheint vielmehr zu sein, dass das Auftreten von Künstlern vor allem als Indikator verwendet wird, der tiefer liegende Veränderungen sichtbar macht. Eine solche Darstellung ist zwar auf der Beschreibungsebene sicher zutreffend und auch mit einer Vielzahl von empirischen Studien belegt – auf der Ebene der Erklärung ergeben sich aber Fragen. Wenn Künstler eine derart prominente Rolle in der Aufwertung von Immobilienlagen spielen – was in ihrer Tätigkeit ist es dann, das sie so attraktiv macht? Welche Beziehungen bestehen zwischen ästhetischer Produktion, Nachfrage nach Kulturgütern und Immobilienökonomie? Welche Rückwirkungen hat die Aufwertung auf die Bedingungen der Kunstproduktion?
Der vorliegende Beitrag greift vor diesem Hinterrund das Thema »Kunst und Gentrification« von neuem auf und versucht auf einer eher konzeptionellen Ebene Vorschläge für ein besseres Verständnis des Zusammenwirkens von Kultur und Ökonomie in der Produktion urbaner Räume zu machen. Ich stütze mich dabei wesentlich auf zwei Zugänge: auf Bourdieus Konzepte zur Stellung des Künstlers im Raum der sozialen Positionen und auf Überlegungen aus dem Kontext der new urban economy (Harvey, Zukin) über die Bedeutung symbolischer Produktion für die Entstehung von Monopolrenten. Bei Zugrundlegung dieser Konzepte wird deutlich, dass die Rolle von Kunst in Gentrifizierungsprozessen nur unzureichend beschrieben wird, wenn man sie auf die Teilnahme an »Pionier«-Aktivitäten beschränkt. Kulturelle Distinktion kann vielmehr ein essentieller Hebel innerstädtischer Aufwertungsprozesse sein und ihre inneren Widersprüche bestimmen kumulative und zirkuläre Logiken von Gentrification.
2. Kulturelles Kapital im Raum der sozialen Positionen
Um Besonderheit und Relevanz künstlerischer Produktion für die Aufwertung städtischer Räume zu verstehen, ist es hilfreich, in einem ersten Schritt auf Überlegungen Bourdieus über die Stellung von Künstlern im »Raum der sozialen Positionen« zurückzugreifen, die dieser unter anderem in »Die feinen Unterschiede« (Bourdieu 1982) entwickelt hat.
Die Grundidee dieses Modells ist, dass sich soziale Ungleichheit als unterschiedliche Ausstattung mit ökonomischem, sozialem und kulturellen Kapital beschreiben lässt. »Ökonomisches Kapital« ist dabei »unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechtes« (Bourdieu 1983, S. 185). Als »soziales Kapital« gilt »die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionellen Beziehungen des gegenseitigen Kennens und Anerkennens verbunden sind« (ebenda, S. 190). Eher im Bereich der von Lebenstil und Habitus verortet ist schließlich »kulturelles Kapital«. Es existiert in Bourdieus Konzept in drei Formen: »(1.) in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand, in Form von dauerhafter Disposition des Organismus, (2.) in objektiviertem Zustand, in Form von kulturellen Gütern, Bildern, Büchern, Lexika, Instrumenten oder Maschinen, in denen bestimmte Theorien und deren Kritiken, Problematiken usw. Spuren hinterlassen haben, und schließlich (3.) in institutionalisiertem Zustand, einer Form von Objektivation (z.B. in Form von Titeln oder Abschlußzeugnissen, MB)« (ebenda, S. 185).
»Gleich Trümpfen in einem Kartenspiel« (Bourdieu 1985, S. 10) determiniert die Ausstattung der einzelnen Akteure mit den unterschiedlichen Arten und Erscheinungsformen von Kapital ihre Gewinnchancen im sozialen Raum. Die Position von Akteuren im sozialen Raum bestimmt sich demnach nicht nur durch die individuelle Verfügung über ökonomisches Kapital, sondern sie beinhaltet darüber hinaus eine Vielzahl von kulturellen Praxen. Herrschende oder beherrschte Positionen ergeben sich dadurch nicht nur aus der Verfügung über ökonomisches Kapital, sondern auch aus einer symbolischen Praxis, in der um die Aneignung von Distinktionsmerkmalen gerungen wird. Distinktion dient dabei der »symbolischen Transfiguration« (Bourdieu 1985, S. 22) faktischer Unterschiede. Der Kampf um eine herrschende Position im Raum der sozialen Positonen schließt deshalb den Kampf um »Bennungsmacht« (ebenda, S. 23) ein. Dabei versuchen die Akteure mit Hilfe symbolischer, diskursiver Strategien, ihre Interpretation der Welt durchzusetzen, d.h. »sichtbar zu machen und glauben zu machen« (ebenda, S. 29).
In diesem Kontext spielt »Kultur« eine Schlüsselrolle: »Nichts hebt stärker ab, klassifiziert nachdrücklicher, ist distinguierter, als das Vermögen, beliebige oder gar ‚vulgäre‘ Objekte zu ästhetisieren, als die Fähigkeit, … in vollkommener Umkehrung der populären Einstellung die Prinzipien einer ‚reinen‘ Ästehetik spielen zu lassen.«(Bourdieu 1982, S. 25) Die Bedeutung der Fähigkeit zur Durchsetzung von Bezeichnungs- und Deutungspraktiken geht damit weit über die Sphäre der Kommunikation hinaus.
Das (ursprünglich in »Die feinen Unterschiede« entwickelte, später stark vereinfachte) Diagramm bildet diese Struktur für verschiedene Berufsgruppe räumlich ab.
Diagramm: Bourdieus Raum der sozialen Positionen und Raum der Lebensstile (Bourdieu 1998, S. 19)
Das soziale Feld wird hier (unter Außerachtlassung von sozialem Kapital, das eine dritte Achse bilden würde) als zweidimensionaler Raum skizziert, der durch die Verfügung über kulturelles und ökonomisches Kapital strukturiert ist. Rechts der Ordinate sind dabei Positionen abgetragen, die durch einen hohen Bestand an ökonomischem und einen geringen an kulturellem Kapital gekennzeichnet sind; links der Ordinate ist es umgekehrt. Der Gesamtbestand an zur Verfügung stehendem Kapital ist durch die vertikale Position gekennzeichnet. Die Position verschiedener Berufsgruppen (Hilfsarbeiter, Lehrer, Künstler, Unternehmer) im sozialen Raum und die Wertigkeit verschiedener kultureller Praxen (Bier trinken, Schach spielen, Reiten) für die Herstellung dieser Position lässt sich auf diese Weise darstellen. Wichtig ist dabei, das Verhältnis verschiedener Positionen nicht statisch, sondern dynamisch – in einem permanenten Kampf um Disktinktion - zu sehen.
Die Stellung von Künstlern in diesem sozialen Raum ist fragil und ambivalent. Die sprichwörtliche ökonomische Armut und die mangelnde soziale Sicherheit, unter der viele Kulturschaffende leiden, wird hier ausgeglichen durch einen Reichtum an kulturellem Kapital, durch eine ästhetische Disposition, d.h. eine Fähigkeit zur Produktion von »Besonderem«, zur Herstellung von Distinktion.
Diese Fähigkeit zur Transformation von »Bedeutungslosem« zu »Bedeutungsvollem« (z.B. die Verarbeitung von Leinwand und Farbe zu einem Bild) ist die Stärke von Künstlern, die ihre positive Gesamtkapitalbilanz begründet. Sie ist jedoch gleichzeitig die »Achillesferse« ihrer Position, denn die Stellung des Künstlers hängt von einem Akt der Anerkennung seiner Arbeit durch das Publikum ab. Zu fürchten ist dabei nicht nur das Ausbleiben von Anerkennung, sondern, paradoxerweise, auch ein Übermaß an kommerziellem Erfolg, eine Transformation des »Besonderen«, welches Kunst ausmacht, zu »Gewöhnlichem«. Bücher z.B., die keiner kennt, werden es schwer haben, als »Literatur« anerkannt zu werden – Bücher, die es in jeder Bahnhofsbuchhandlung zu kaufen gibt, gelten wiederum leicht als Trivialliteratur. Sowohl ökonomische Erfolg, als auch ökonomischer Mißerfolg kann also zu einer Abwertung des mit der Produktion des Buches verbundenen kulturellen Kapital führen. Einzigartigkeit und Distinguiertheit stehen hier in einem Widerspruch zum ökonomisch wünschenswerten Massenerfolg und infolge dieser paradoxen Situation leben Künstler sozusagen »in einer verkehrten Welt, in der negative zu positiven Sanktionen werden können« (Bourdieu 1998, S. 183) und umgekehrt.
3. Kunstproduktion und Kunst-Räume
Versucht man Bourdieus Überlegungen zur Position von Künstlern im Raum der sozialen Positionen und Lebensstile auf das Thema der kulturellen Transformation von urbanen Räumen auszuweiten, ergeben sich interessante Perspektiven.
Zunächst kann man hier eine Verbindung zwischen dem Mangel an ökonomischem Kapital und Wohnort erkennen. Dort, wo die Wohnorte von Künstlern untersucht wurden, konnte man feststellen, dass sich Künstler regelmäßig in preiswerten, wenig renovierten, innenstadtnahen Quartieren konzentrieren (Cole 1987, Ley 1996, Ley 2003). Diese Konzentration ist zum einen Ausdruck des niedrigen ökonomischen Status von Künstlern, der sie zwingt nach billigem Wohnraum zu suchen. Solcher Wohnraum ist in der Regel in unsanierten Altbauvierteln zu finden, so dass sich Künstler oft in genau den Vierteln wieder finden, die aufgrund anhaltender Desinvestition ein hohes Potenzial ( ein »rent-gap«, Smith 1979) für eine zukünftige Aufwertung aufweisen. Künstler benötigen darüber hinaus einigermaßen zentrale Wohnorte, die sie in räumliche Nähe zu Bibliotheken, Galerien und Universitäten bringen. Auch in diesem Punkt ergeben sich Verbindungen zu Gentrification, denn innenstadtnahe Lagen gehören zu den entscheidenden Vorteilen, die Altbauviertel »reif« für Gentrifizierungsprozesse machen.
Neben diesen, aus der ökonomischen Position resultierenden, Faktoren gibt es aber noch weitere Umstände, die unsanierte und sozial gemischte Wohnviertel für Künstler interessant machen. Diese lassen sich sehr gut mit Bourdieus Überlegungen koppeln. Denn aus dem Blickwinkel kultureller Distinktionskalküle sind »authentische«, »rauhe«, »echte« Orte vorzügliche Objekte für Ästhetisierungsstrategien. Alte Viertel, proletarische Bewohner und bröckelnde Fassaden eigenen genau deshalb als Objekt künstlerischen Schaffens werden, weil sie Images verkörpern, die etwas Ungewöhnliches, dem Massengeschmack entgegen Gesetztes, ausdrücken. Ihre künstlerische Interpretation bietet damit die Gelegenheit, »Stil« zu beweisen und dadurch symbolisch aufzusteigen. Die Orte werden dabei sozusagen zum Stoff, an dem sich eine ästhetische Disposition materialisieren kann. Sie ermöglichen damit die Demonstration der Fähigkeit zur Transformation von »Gewöhnlichem« zu »Besonderem«, die die spezifische Stärke von Künstlern in Bourdieus Raum der sozialen Positionen begründet. Die erfolgreiche Ästhetisierung eines Viertels »rechnet« sich damit für ihren Produzenten. Sie erhöht seinen Bestand an kulturellem Kapital, seine Position steigt im Diagramm nach oben.
Einmal als »kulturelles« Thema etabliert, kann der Bezug auf ein bestimmtes Viertel sogar als Label dienen, dass die Erkennbarkeit des Kunstproduktes steigert und seinen symbolischen Wert erhöht. In einem Akt der Transsubstantiation wird dabei ein ästhetischer Habitus auf einen spezifischen Ort übertragen, der im Gegenzug den mit ihm konotierten Aktivitäten sozusagen »eine höhere Weihe« gibt. Der Ort wird dabei zu Code für einen spezifischen Habitus, zum Objekt, in dem sich der Besitz kulturellen Kapitals manifestiert. Das Montmartre der französischen Bohéme des frühen 20.Jahrhunderts, das Greenwich Village der »Beat Generation«, oder die »Prenzlauer Berg- Szene« sind historische Beispiele für dieses Phänomen. Montmartre, Greenwich Village oder Prenzlauer Berg bezeichnen hier nicht mehr konkrete physische Eigenschaften eines Stadtviertels, sondern sie dienen als Medium für die Produktion und Zirkulation habitueller Unterschiede.
Mit dieser Transformation sind allerdings weitreichende Folgen - sowohl für den Künstler, als auch für den Ort –verbunden. Denn mit der Verräumlichung von Habitus tritt die Fähigkeit zur ästhetischen Disposition aus dem Körper des Künstlers heraus und wird auf einen Raum übertragen. Inkorporiertes kulturelles Kapital wird, in Bourdieuschen Termini gesprochen, zu objektiviertem kulturellen Kapital transformiert. Es muss nicht mehr über einen langen Zeitraum durch Bildungsleistungen erworben werden, sondern es wird direkt durch den Besuch einer Galerie, das Biertrinken in einer Künstlerkneipe oder den Erwerb von Designermöbeln konsumierbar. Dadurch sinken die Transaktionskosten für die normalerweise zeitraubende, lang andauernde und widersprüchliche Aneignung von kulturellem Kapital. Der mit der ästhetischen Codierung eines Raumes verbundene Distinktionsprofit verlangt im Zuge dieses Prozesses weniger eigene, zeitraubende künstlerische Aktivitäten, sondern er lässt sich bereits über den Zugang zu ästhetisch codierten Räumen ausbeuten. Der »Clubeffekt« (Bourdieu 1997), die Möglichkeit, aus dem »kulturellen« Bezug auf einen bestimmten Raum symbolische Gratifikationen zu ziehen, wird damit popularisiert.
Diese Populariserung von Distinktionsgewinnen vollzieht sich jedoch nicht im Selbstlauf. Um die Transaktionskosten (Zeit, Geld, Kontakte) für die Aneignung der ästhetischen Qualitäten eines Ortes auf ein Maß zu senken, das nicht nur einem äußerst exklusiven Publikum Zugang ermöglicht, werden vielmehr Vermittler benötigt, deren Tätigkeit in der Übersetzung und Vermarktung räumlich gebundener Distinktionsvorteile besteht und die mit ihren kreativen Praktiken neue ästhetische Felder für ein Massenpublikum erschließen können.
4. Distinktionsprofite und Monopolrenten
Die kulturelle Umdeutung von Räumen wird damit zum Geschäft von Lifestylemagazinen, Reiseführern, Filmproduzenten und Trendscouts. Sie bietet Verdienstmöglichkeiten und eröffnet Kapitalanlagen in der Produktion von Infrastrukturen und Dienstleistungen für »kulturellen« Konsum. Neue Restaurants, Galerien und Clubs werden eröffnet, Häuser werden saniert, Eigentumswohnungen gekauft. Kulturelles Kapital spielt damit eine »reale« Rolle, indem es Kapitalanlagen an der Verbindungslinie von kulturellen und ökonomischen Kreisläufen steuert. Es bewirkt Investitionen in physische Infrastruktur, bringt neue Formen von Beschäftigung hervor und verändert das Gesicht der betroffenen Viertel.
Ausschlaggebend für diese kulturökonomische Erfolgsstory ist die Möglichkeit, mit der Ausbeutung von Distinktionsräumen »Monopolrenten« zu erwirtschaften. Um diesen Prozeß zu verstehen, ist es hilfreich, auf Konzepte von David Harvey zurückzugreifen, die im Kontext der new urban economy entwickelt wurde (Harvey 1982 und insbesondere 2001, S. 394ff.) Sie liefern einen Schlüssel zum Verständnis der besonderen Attraktivität von Investitionen, die durch die ästhetische Redefinition des Raumes angeregt worden sind und erklären die damit einher gehenden Widersprüche.
Harvey gibt folgende Definition für Monopolrenten: »Monopoly rent arises because social actors can realize an enhanced income-stream over an extended time by virtue of their exclusive control over some directly or indirectly tradable item which is in some crucial respects unique and non-replicable.« (Harvey 2001, S. 295) Ein klassisches Beispiel für die Gelegenheit, Monopolrenten einzunehmen, ist ein Weinberg, der eine außergewöhnlich gute Sorte Wein hervor bringt, der zu unvergleichlich hohen Monopolpreisen verkauft werden kann. Ein anderes klassisches Beispiel sind zentrale städtische Lagen, in denen Monopolpreise nicht für die außerordentliche Qualität des Raumes, sondern für seine Lage (seine geringe Distanz zu den Orten wichtiger Aktivitäten) verlangt werden können. In beiden Fällen ist Einzigartigkeit des Ortes die Voraussetzung, Extraprofite erwirtschaften zu können.
Zugleich können potentielle Monopolrenten selbstverständlich nur dann realisiert werden, wenn die betreffende Ware allerdings (direkt oder indirekt) handelbar ist. Aus diesem Umstand entwickelt sich eine disparate Situation, in der - ähnlich wie im Fall des symbolischen Kapitals bei Bourdieu - »Einzigartigkeit« und »Massenerfolg« im Widerspruch zueinander stehen. Je erfolgreicher eine Ware gehandelt wird, desto weniger speziell und einzigartig erscheint sie. Sie verliert also im Zuge ihre kommerziellen Erfolgs ihren spezifischen Charakters, der die Möglichkeit, mit ihrem Handel Monopolrenten zu erwirtschaften, begründet. Da in einer Konkurrenzwirtschaft das Bestreben, sich über den Durchschnittsprofit hinausgehende Sonderrenten anzueignen, allgemein ist, ist jedes Monopol permanent bedroht. Andere Wettbewerber werden, sofern es irgend möglich ist, immer versuchen, die entsprechende Ware zu kopieren und selbst zu vermarkten – und das bedingt eine immanente Tendenz des Falls der Monopolrente.
Angewendet auf Gentrificationsprozesse lässt sich aus dieser Konzeption eine Reihe von interessanten Schlussfolgerungen ziehen:
Zum ersten kann abgeleitet werden, dass der Schlüssel zum Verständnis des Zusammenwirkens von kulturellen und ökonomischen Momenten bei der Gentrification in der Möglichkeit der Aneignung von kulturell determinierten und ortsgebundenen Monopolrenten liegt. Diese entstehen aus der ästhetischen Codierung eines Ortes als etwas »Besonderem«. Diese ästhetische Redefinition bedarf allerdings zu ihrer Materialisierung einer physischen Infrastruktur und dieser Umstand eröffnet die Möglichkeit zur Akkumulation ökonomischen Kapitals.
Räumlich gebundenes kulturelles Kapital wird dabei zum Grund für »reale« Investitionen (vgl. Zukin 1990), es kommt zu einer Verschmelzung kultureller und ökonomischer Akkumulationskreisläufe. »Kulturviertel« werden dabei zu »cultural markers«, in denen sich Märkte für Konsumgüter herausbilden, die von hoher Ausdifferenzierung, einer Nachfrage nach Authenzität und lokaler kontextueller Angepasstheit bestimmt sind. Investitionen werden auf diesen Märkten sehr flexibel plaziert und können nur dann auf Erfolg hoffen, wenn sie es vermögen, einen Code anzusprechen, der passgerecht zu den besonderen ästhetischen Qualitäten des betreffenden Ortes ist.
Zum zweiten kann gefolgert werden, dass die kulturökonomische Aufwertung von Räumen eine kumulative Logik beinhaltet. Da die Möglichkeit zur Aneignung von Monopolrenten nicht auf eine einzelne Ware begrenzt ist, sondern aus der Platzierung von Investitionen an einem bestimmten Ort hervorgeht, gibt es ein allgemeines Bestreben, diese Lagevorteile auszubeuten. Auf die Galerie folgt dann ein Club, auf den Club ein Restaurant, auf das Restaurant ein Reiseführer, auf den Reiseführer ein Hotelneubau usw. Einmal in Gang gekommen, besetzt Gentrification deshalb eine ganze Reihe von Bereichen, die Infrastruktur, Dienstleistungsangebot und Bausubstanz der betroffenen Viertel umwälzen.
Zum dritten liegt genau in dieser Tendenz zur Verallgemeinerung die Möglichkeit des kulturellen Abstiegs gentrifizierter Räume begründet. In dem Maße, wie »besondere« Räume ausgebeutet werden, verlieren sie ihre Potenz zur Herstellung kultureller Distinktion. Der kommerzielle Erfolg nivelliert also die Monopolrenten und damit die Verdienstmöglichkeiten, die in der Vermittlung von Distinktionsvorteilen liegen. Um dem tendenziellen Fall der Distinktionsrente entgegen zu treten, müssen daher in regelmäßigen Abständen neue, »heiße« Räume entdeckt werden. Gentrification erhält damit eine zirkuläre Logik. Sie bewegt sich durch die Stadt, getrieben von dem Bemühen, Orte für Distinktionsgewinne zu finden und zu vermarkten.
5. Kulturelles Kapital und ökonomische Akkumulation
Kulturproduktion erhält damit eine eigenständige Rolle, die essentiell für das Zustandekommen von Gentrifizierungsprozessen ist. Diese Rolle geht weit über die bloße Integration von Künstlern als Bestandteile der Sammelkategorie »Pioniere« hinaus. Kultur ist vielmehr essentiell für den in Gentrificationprozessen erfolgenden Akt der ästhetischen Redefinition urbaner Räume, der ökonomisch begleitet wird von der kommerziellen Verwertung der dabei entstehenden Distinktionsgewinne. Es handelt sich hierbei um zwei Momente derselben Totalität, die ohne den jeweils anderen Part auseinanderfällt. Eine Analyse, die die Bedeutung von Künstlern in der Gentrification auf die Rolle eines von einer Vielzahl von Indikatoren im Rahmen von sozialstatischen Analysen beschränkt, greift deshalb zu kurz.
Kulturelle Aktivitäten sind bei der ökonomischen Aufwertung heruntergekommener Wohnviertel im Gegenteil »part of the game« und vice versa. Künstler sind damit in der Tat »Mittäter« bei der Gentrifizierung heruntergekommener Wohnviertel – aber diese Mittäterschaft ist nahezu unausweichlich in die Rolle von Kunst in kapitalistischen Gesellschaften eingebettet. Gleichzeitig sind Künstler jedoch auch Opfer der von ihnen selbst vorangetriebenen kulturellen Inbesitznahme eines Ortes, denn ihr symbolisches Kapital leidet unter der Profanierung des lokalen Codes und das Entstehen einer Massennachfrage verteuert Wohnungs- und Gewerbemieten. Künstler befinden sich damit in einer Zwickmühle, der sie ohne eine Veränderung der Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Kunst nicht entkommen können. Vorsicht ist also angebracht, Mißtrauen nicht.
Matthias Bernt
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[1] In neueren, weniger die wissenschaftliche Debatte bestimmenden, finden sich Künstler sogar in einer Rolle als urbane Heilbringer wieder, als Mustervertreter der »creative class«, die die postmoderne Ökonomie vorantreiben (Florida 2002). In dieser Sicht wird das Auftreten von Künstlern als Hoffnungsschimmer für die Revitalisierung von benachteiligten Vierteln angesehen – was in der Praxis z.B. dazu geführt hat, dass in Berliner Problemquartieren Kunstausstellungen in leeren Läden öffentlich gefördert werden.