Arme deutsche weiße Wand
Der 17. Juni 2005 war ein guter Tag für Deutschland. Der Zwist der Parteien war zu Ende. Die »Verharmlosung des gesellschaftlichen Problems durch Politik und Medien« war überwunden. Hinter uns lag, wie die Welt schrieb »letztlich die Auseinandersetzung um einen hier zu Lande relativierten Eigentumsbegriff.« Peter Sodann, Schauspieler und bekannter Tatort-Kommissar, hatte das Verbrechen als »Ausdruck des gewöhnlichen Faschismus« gebrandmarkt, und zwar in der Jungen Freiheit, die bekanntlich jeden Faschismus ablehnt, der nur gewöhnlich ist. Das gilt auch für die DVU »wo sich die Regierenden in Untätigkeit sonnen und die Regierten verzweifeln, wählt sich das Volk eigene Wege.« Hatte der Nazi-Redner im brandenburgischen Landtag gedroht, war damit aber bei der CDU auf härtesten Widerstand gestoßen; knallhart hatte deren Sprecher gekontert »Sie begehen geistigen Diebstahl an unserer Initiative«, denn sein Innenminister Schönbohm habe als erster festgestellt, die Täter »gehören ins Gefängnis.«
Sie wissen doch worum es geht, nicht wahr? »Eine saubere Stadt hat disziplinierende Wirkung« sagt Hans-Olaf Henkel vom BDI. Und weil das der sächsische Innenminister weiß, hat er einen Spaziergang durch Dresden unternommen, sah im undiszipliniertesten Stadtteil »auf hundert Meter wenigstens 20 Hundekothaufen«, sah im selben Viertel »zehn Hunde ohne Steuermarke« und, halten Sie sich fest, diverse Graffiti worauf er dem Parlament gestand »Ich muss Ihnen sagen, das war eines der niederschmetterndsten Erlebnisse meiner letzten Jahre hier.«
In Sachsen ist ja sonst auch nichts passiert, was einen Innenminister erschüttern könnte. Wenn sich in den national befreiten Zonen keine Ausländer sehen lassen, werden sie auch nicht erschlagen. Die wirkliche Gefahr drohte, jedenfalls bis zum 17. Juni, von ganz anderer Seite. »Der Sprayervandalismus ist ein Bestandteil der 68er Strategie, Deutschland kaputtzumachen. Der Kampf zwischen den Sprayern und den für den Erhalt der deutschen Kulturgüter und Werte Engagierten ist wohl das Vorzeichen für einen Bürgerkrieg.«
Solch wachsame Mahnungen finden sich auf der Homepage von Deutschlands bedeutendster Anti-Graffiti-Bürgerinitiative NoFitti. Die Frage sei erlaubt: Hätten wir die vielen neuen Graffiti-Bekämpfungsgesetze, hätten wir in jeder größeren Stadt die Graffiti-Sonderkommissionen, hätten wir die reibungslose Koordination zwischen Polizei und BGS, hätten wir die Sonderzentrale der Staatsanwaltschaften, hätten wir die vielen neuen Datenbanken, könnten wir lesen »alle Ermittler der Spezialeinheit sind Ostern Tag und Nacht in Zivil unterwegs gewesen«, wenn nicht die Bürgerinitiative NoFitti seit mehr als einem Jahrzehnt gewirkt hätte, unter dem Vorsitz von Karl Henning?!
Aus kleinsten Anfängen »Anfangs wurden wir noch als naive Putzteufel verlacht« , über erste Paukenschläge »Karl Henning ist glücklich. Stolz geht sein Blick über den Sockel der Friedenssäule. Jetzt ist wieder alles blitzblank« wurden Mitkämpfer aus allen Generationen gewonnen »Graffiti auf Bänken. Der 91 jährige Rentner Gustav Lommerzheim konnte das nicht mehr mit ansehen. So schrubbt der agile Rentner alles weg«, und beweist nebenbei, welche Spielräume bei der Heraufsetzung des Renteneintrittsalters objektiv bestehen. Die über 90-Jährigen könnten es allein aber nie und nimmer mit den Sprayern aufnehmen. »Allein in Berlin« schätzt Karl Henning die Szene »auf etwa 9.000, darunter 400, die zum harten Kern zählen. Äußerst brutal und mitunter bewaffnet agierende Täter, unterstützt von ausländischen Aktivisten aus aller Herren Länder.«
Ein Abgeordneter der CDU, Parteifreund von Karl Henning, erkennt für’s ganze Deutschland, dass »es in der Szene gut organisierte sowie zutiefst kriminelle und bewaffnete Banden gibt, die in Zusammenhang mit Raub, Diebstahl und Drogenhandel stehen.« So nahm der Bundestag erschrocken zur Kenntnis »dass sich ganze Graffiti-Banden bilden, die bereit sind, ihre Sprühreviere, die sie vorher markant aufgeteilt haben, mit Gewalt zu verteidigen.« Besonders die Beschaffungskriminalität, die »Straftaten, damit sie die Dosen mit der Farbe bekommen« sei Besorgnis erregend.
Das war ein Schlag gegen die Verharmloser, die, vermutlich zum Zwecke der Bagatellisierung eines Staatsproblems, früher im Zusammenhang mit Graffiti von Kleinkriminalität gesprochen hatten. Ströbele zum Beispiel, der Grüne, der alles mitträgt, aber nichts ohne Bedenken, hatte immer wieder schärfstens darauf hingewiesen, dass man Sprayer auch ohne Gesetzesnovelle einknasten kann, und war zudem um keinen Verbesserungsvorschlag verlegen »Der Erwerb der Spraydosen kann erschwert werden und durch Sonderabgaben wie etwa auf Alcopops erheblich verteuert werden. Die eingesetzten Spraydosen werden weniger und die Schäden geringer.« Außerdem wollte er den harten Kern von den Mitläufern isolieren und fand es »wichtig, die Unterschiede der Motive der Sprayer zu berücksichtigen.«
Ähnliche Entgleisungen waren früher auch bei einzelnen Abgeordneten der PDS zu beobachten. Zwar sprach die Abgeordnete »als Tochter eines Hoteliers, der selber Opfer von Sprühdosen war,« und betonte somit aus tiefster persönlicher Betroffenheit »Wir als PDS wollen den Straftatbestand ,Sachbeschädigung’ auf keinen Fall verharmlosen.«
Aber dann fing sie doch wieder an mit der abwegigen Idee von den legal zur Verfügung gestellten Flächen. Dabei hatte doch die große Studie der Universität Potsdam längst herausgefunden »Legales Sprayen ist für Jugendliche mit hohen Sensation-Seeking-Tendenzen anreizmäßig defizitär.« Ich verstehe das; legale Sprühflächen kommen mir vor wie die Erlaubnis von freier Liebe aber nur wenn die Partner auch miteinander verheiratet sind. Oder wie ein Streik in den Betriebsferien.
Aber legales Sprayen ist nicht nur anreizmäßig defizitär »Durch die Studie der Universität Potsdam und Erfahrungen der Polizei ist bekannt, dass legales Sprayen illegales nach sich zieht.« Ein typischer Fall von Einstiegsdroge also, wie wir das aus vielen Bereichen kennen. Wer erst einmal an erlaubten Demonstrationen teilnimmt, bleibt bald auch nicht mehr den verbotenen fern. Statt den Jugendlichen das Basteln von Schlüsselbrettern, das Backen von Weihnachtsplätzchen oder die Spielregeln von Mikado beizubringen, werden sie durch legales Sprayen! »auf die schiefe Bahn gedrängt.«
Zum Glück hat Karl Henning Verbündete in allen Parteien. Stadträte der PDS melden im Internet »eine Flut von Schmierereien … Wie Krebs breitet sich das aus«. Sie fordern »empfindliche Strafen, denn Chaos wäre die Folge, wollten wir das tolerieren,« dieses unerträgliche, dieses »skrupellose Vorgehen gegen fremdes Eigentum«, welches von Sozialisten seit alters her verabscheut wurde. Jedenfalls sind nun auch die PDS-Stadträte Bestandteil dieser breiten Volksbewegung, die so viele phantasievolle Ausdrucksformen hat.
In Hamburg plakatiert die örtliche Initiative »Stoppt illegale Graffiti wählt 110«, »um die Anzeigenbereitschaft der Hamburger zu steigern.« Die Initiative »Sauberes Potsdam« hat »vorerst sieben Langzeitarbeitslose damit beschäftigt, Straßen nach Schmierereien abzulaufen.« Die »Ordnungspartnerschaft Münster« rät in massenhaft verteilter Broschüre »Sprayer werden durch Videoüberwachung mit digitaler Aufschaltung an private Sicherheitsdienstleister verunsichert«, weicht vor dem nahe liegenden Gedanken an Selbstschussanlagen aber noch aus.
Der Kern der meisten Initiativen besteht übrigens immer aus Mitarbeitern des Polizeipräsidiums, Vertretern der Malerinnung und Abgesandten von Gebäudereinigungsfirmen. Die haben, ökonomisch betrachtet, zwei Sorgen: Dass die Sprayer wirklich aufhören oder dass man deren Werke unbehelligt lässt. Das wäre glatt geschäftsschädigend. Aber auch immer mehr andere Berufsgruppen finden zum Kampf. »Knapp 500 Banker beteiligen sich an der Aktion ,Sauberhafter Business Day’ des Hessischen Umweltministeriums«, fahndeten nach Graffiti und »sammelten achtlos weggeworfene Abfälle ein.«
All diese Aktivitäten, die jahrelange Arbeit von Karl Henning, mündete schließlich Anfang April 2005 im »1. internationalen Anti-Graffiti-Kongress« in Berlin, durchgeführt von NoFitti e.V. Unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters Wowereit, unterstützt von Otto Schily, eröffnet vom Chef der Senatskanzlei des rot-roten Senats, sprachen und berieten der CDU-Generalsekretär Kauder, der Polizeipräsident Oslos, der Bürgermeister Kopenhagens, Experten von Helsinki bis Los Angeles und Dr. Giessler von der Firma Degussa, die einfach die beste ist, wenn es um die Beseitigung von Schäden an Wänden und Schädlingen am Volkskörper geht.
Selbst Christian Ströbele schickte eine Grußadresse, wünschte dem Kongress »eine fruchtbare Diskussion«, und »Erfolg« im Kampf gegen das »durchaus ärgerliche Übel«. Karl Henning, der Leiter des Kongress’, gab im Rahmenprogramm bekannt, welche Schule für absolute Sauberkeit der Wände Preisträger geworden war. Dort fahndet das pädagogische Personal noch nach Schmutz unter den Fingernägeln. Fast zeitgleich lief eine andere Fahndung, mit der Otto Schily eindrucksvoll unterstrich, dass seine Unterstützung des Kongresses keine nur idelle ist. »Der Sprecher des Innenministeriums verteidigte den Einsatz von Hubschraubern des Bundesgrenzschutz’ gegen Sprayer. Solche Aktionen hatten in Berlin und Köln stattgefunden. Der Einsatz war erforderlich und auch erfolgreich. Bei den Einsätzen mit Wärmebildkameras waren vier Sprayer auf frischer Tat ertappt und acht geplante Sprühaktionen verhindert worden. Bundesinnenminister Schily wolle nun bundesweit mit Hubschraubern gegen Sprayer vorgehen, Auch Innenexperten aus Union und FDP seien für den Hubschrauber-Einsatz.« Wie in jedem Krieg, ergänzt der Chefkoordinator von BGS und Polizei »ist Unterstützung aus der Luft unabdingbar.«
Ja, jetzt wird wohl auch dem Letzten hier im Saal deutlich, welche Bedeutung der 17. Juni 2005 für Deutschland hat. Bis dahin konnte man nämlich Sprayer, die nur leicht Abwaschbares hinterließen, nicht ins Gefängnis stecken. Ich meine, so etwas demotiviert doch die Hubschrauber-Staffeln in ihrem schweren Kampf. Das Problem hat die rot-grüne Bundesregierung als Schluss- und Höhepunkt ihrer Amtszeit beseitigt. Allerdings bestand die CDU auf dem Vorwurf, sie würde »plötzlich unsere Ideen übernehmen«, was ja schon der DVU vorgeworfen worden war und eigentlich nur beweist, dass die CDU wirklich die Partei der Mitte ist.
Natürlich ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. In den Medien finden sich immer neue Anregungen »Die Täter sollten ihre Schmierereien eigenhändig mit einer Zahnbürste entfernen müssen«; und ständig geht ein neidischer Blick der Presse ins Ausland, welches wieder einmal weiter ist als wir: »Singapur: Sprayer erhalten zwischen drei und acht Stockschläge und müssen mit drei Jahren Gefängnis rechnen.« »USA: Wer drei Mal 400 Dollar Schaden anrichtet, wandert lebenslang hinter Gitter.«
Gut, das sind Fernziele, die man erst erreichen kann, wenn das ganze Volk geschlossen begreift, wie schön eine deutsche Fußgängerzone, eine Gleisanlage, ein Parkhaus, eine Autobahnbrücke und eine Trabantenstadt mit Einzelhäuschen oder Sozialwohnungssilos ist; in ungeschmälert dezentem Grau oder sogar in der Farbe der Unschuld, wie sie der Hausdichter der BZ besingt:
»Arme deutsche weiße Wand,
fast hätte ich dich nicht erkannt.
Bist unter Schmierereien verschwunden
Jetzt sollen sie bald in den Knast,
damit Du, Wand, mal Ruhe hast.«
Thomas Ebermann, Rainer Trampert
Aus: analyse und kritik, 500/2005, S. 33