Presseinfo
Wir möchten Euch/Sie auf das derzeit vom Conne Island durchgeführte kulturpolitische- und Stadtsoziologie-kritische Projekt »KulturDisplace – Argumente und Aktionen gegen das Verschwinden kultureller Wahrnehmung aus dem öffentlichen Raum« hinweisen. (August-Dezember 2007)
»KulturDisplace« ist eine Kooperation von Conne Island und der Künstlergruppe niko.31 (AVM–Altenburg von Morgen, Heimat Moderne, General Panel, Orbit Palast) und wird inhaltlich durch die Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfzK), die Leipziger Kamera. Initiative gegen Überwachung und den StudentInnenrat der Universität Leipzig unterstützt. Die Kulturstiftung des Freistaates fördert »KulturDisplace«.
Hintergrund von »KulturDisplace« ist das derzeitige Dilemma kultureller Repräsentation und kultureller Öffentlichkeitsarbeit. Im Zuge der neuen Entwicklungen urbaner Räume durch die Veränderung postindustrieller Gesellschaften entstehen neben Shopping Malls und Freizeitparks, Wohlstandsenklaven und Dreckecken viele interessante Ansätze kultureller Aktivitäten. Gleichzeitig verändert sich die Kultur der Stadt – ihre Existenz und Präsenz ist nur dort erwünscht, wo sie in das Konzept der neuen »Dienstleistungsstadt« passt. Die Kultur der Marginalisierten, das soziokulturelle Projekt um die Ecke, der Treffpunkt für jugendkulturelle Aktivitäten, die Clubculture geht innerhalb dieser Entwicklung in vielen Fällen den Bach runter.
Das Projekt »KulturDisplace« möchte gegen diesen Trend intervenieren. Wir holen uns den Raum zurück, der der kulturellen Öffentlichkeit zusteht, wir machen uns zum Ziel, verlorenes Terrain – wenn nicht greifbar, dann zumindest symbolisch – zurückzuerobern. Wir möchten, das ganz konkret Raum, Platz und der Wille geschaffen wird, nonkonforme Kultur zu repräsentieren.
–––Repräsentieren–––
Popkultur, die sich qua ihrer Definition dem Prinzip der Repräsentation von Modellen, Styles, Differenzen und eigenen Organisationsformen von Identität verschrieben hat, besitzt in ihrer Gesamtheit wie in ihren spezifischen Subformen ein ganz eigenes Kulturmilieu. Repräsentation bedeutet in diesem Kontext die Vor- und Darstellung einer eigenen Sache. Repräsentation bedeutet aber auch aus einer Analyse popkultureller Phänomene allgemeine Einschätzungen über den Zustand der Gesellschaft abzuleiten.
Auf die Kritik und Veränderungen auf dem Feld der Repräsentation haben in den letzten Jahren nicht nur die britischen cultural studies sondern auch klassische Jugendsoziologen in Deutschland hingewiesen. Viele haben die Interventionsmöglichkeiten auf dem Feld der Repräsentation von minoritären Projekten bereits ad acta gelegt, da ihre Authentizität und damit ihrer Stärke allzu oft im Mainstream der Gesellschaft unterging und scheinbar produktiv absorbiert wurde. Tatsächlich sind die Kämpfe auf dem Feld kultureller Wahrnehmbarkeit wichtiger denn je. Es lohnt sich auch weiter auf dem Feld kultureller Repräsentationen und Darstellungen zu streiten, in Konflikt mit festgefahrenen Prozessen und Identitäten zu treten.
Die gesellschaftlichen Formierungsleistungen werden in den modernen Dienstleistungsgesellschaften am meisten manifest. Hier setzt sich mehr und mehr ein teamwork von klassischen Hierarchien und externe Kontrollinstanzen durch, das perfekt mit individuell angenommenen Konkurrenz- und Kontrollsituationen harmoniert. Die Sozialwissenschaft fasst diese Entwicklung unter dem Label der »Kontrollgesellschaft«, die sich insbesondere durch die Dezentralisierung von Disziplinartechniken auszeichnet. Während das Soziale der Gesellschaft immer mehr auseinander driftet, realisiert sich das Politische vornehmlich in der Erzeugung von ästhetisch inszenierten Selbstbildern. Das äußert sich in den urbanen Räumen beispielsweise durch gigantische architektonische Mammut-Projekte, die eine kosmopolitische und tolerante Weltoffenheit erzeugen, aber gleichzeitig mit ganz bestimmten Formen und Aktivitäten von »Bildbereinigung« einhergehen. Kampagnen gegen Graffiti und Plakatierung, die Vertreibung von Obdachlosen aus den Innenstädten, die Überwachung öffentlicher Plätze und Räume und die Verschärfung von Paragraphen, die festlegen, wie ein Stadtbild auszusehen hat, sind die Neben-Ergebnisse dieser Entwicklung.
–––Deplatzieren–––
Ganz konkret sollen sowohl in der Innenstadt Leipzigs als auch in ausgewählten Stadteilen – möglichst also im öffentlichen Raum, an Straßen, auf Plätzen, in Parkanlagen – sogenannte »KulturDisplace« installiert werden, die allein durch ihren Standort und durch ihre Erscheinung störend und deplaziert wirken, die aber auch die kulturellen Aktivitäten und Identitäten marginalisierter Subkulturen repräsentieren und nachvollziehbar machen. Die Installation der »KulturDisplace« ist im Kontext von Street Art, Graffiti, öffentlicher Projekt- und Plakatkunst angesiedelt, will aber ausdrücklich kein eigenständiges Kunstprojekt sein, sondern mit klaren Inhalten und Aussagen polarisieren. Einleitende und begleitende Agit-Prop-Aktionen werden die Installation unterstützen.
–––Displace-Callcenter–––
Pizzakartons werden zu Displays. Die Kartons sollen an verschiedensten, möglichen und unmöglichen Orten, geklebt/getackert werden.
Die geklebten Wegwerfverpackungen wirken im Stadtbild auffallend, störend und provokativ.
Im aufgeklappten Karton steht eine Telefonnummer (0341-3013232, ab Mitte November 2007) und ein Begriff, der stadtsoziologische Probleme assoziiert, z.B. »Sperrstunde«, »Bettler« oder »Wildplakatieren«. Zu jedem Begriff ist ein kurzes Statement, O-Töne, unter dieser Telefonnummer zu hören – evtl. auch mit Musik oder Geräusche.
Die Aktion ist basisorientiert und im Sinne eines Aufrufes an alle Stadtbewohner und –nutzer »Stadtkultur von Unten«, sie bietet die Chance auf einen breiten kulturellen Querschnitt von Meinungsäußerung jenseits von Verwertungs- oder Vermarktungsinteressen, die im Stadtraum keine öffentliche Sichtbarkeit, im Sinne von Displays, finden. Ein Querschnitt städtischer Kultur und Diskurs, jenseits von Eventkultur, Werbung oder »Dienstleistungsstadt« markiert sich im öffentlichen Raum, wobei die prozessuale Struktur der Aktion vielfältige Reaktionen offen lässt. Es kann eine Bandbreite erreicht werden, die politische Statements, Kritik, Lebensgefühle, Ideen und Hoffnungen beinhaltet. Es wird eine direkte Reflektion des Begriffes Öffentlicher Raum vor Ort, zusammen mit der Örtlichkeit und deren Charakteristika (Stadtviertel), angeregt und hörbar gemacht.
Die Plakatierung der Pizzakartons folgt dabei einer bestimmten raumtaktischen Strategie. Das heißt die spezifische Problemstellungen oder auch Qualitäten von Stadtvierteln/Orten beeinflussen die Begriffsauswahl. Bewusst soll hierdurch konfrontiert oder angeregt werden. Gleichzeitig stellt sich durch die Interaktion (Abgabe von voice notes) eine raumbezogene Reaktion ein, die genau dokumentiert wird und auf der Website sicht- bzw. hörbar gemacht wird.
–––Diskurs–––
Vier geplante Diskussionsveranstaltungen zu »Urbanität, Raum und Gegenstrategien subkultureller Milieus«, zur »Zur Konstitution städtischer Räume durch kulturelle Netzwerke«, zu »Kameraüberwachung, innere Sicherheit und die Einführung in die Angst« und eine Diskussion zu »Vom Aufstand der Zeichen zur Streetart« bilden das Grundgerüst der inhaltlichen Auseinandersetzung. Die Diskussionsveranstaltungen sind öffentlich, Podium und Publikum sollen ausdrücklich ins Gespräch kommen. Die Ergebnisse und Verläufe der Veranstaltungen werden durch das Internetradio Public Information Plattform und einem umfangreichen Reader veröffentlicht und dokumentiert. (Eine aktualisierte Veranstaltungsübersicht mit den Terminen, Veranstaltungsorten und Ankündigungstexten wird demnächst auf unserer Internetseite veröffentlicht.)
Konfrontation passiert also im Diskurs, ist allerdings – und das ist uns durchaus bewusst – insbesondere im Kontext öffentlicher Diskussion leicht instrumentalisierbar. Der Verlust der Nachhaltigkeit und Nachdrücklichkeit einer Forderung verpufft hier am schnellsten. Nicht zuletzt deshalb geht es dem Projekt »KulturDisplace« auch um direkte Möglichkeiten symbolischer Intervention und subkultureller Präsentation.
–––Kritisieren–––
Konfrontation und Kritischer Dialog sind integrale Bestandteile des Projektes. Die symbolische Konfrontation mit kommunalen Behörden und privaten Institutionen ist durch »KulturDisplace« durchaus beabsichtigt. Hier soll das Projekt zuerst provozieren, letztlich aber das Gespräch suchen. Für uns ist das kein Widerspruch. Wir agieren aber auch im Wissen, dass die von uns anvisierten Freiräume nur mit einer modernen und zeitgemäßen Stadtverwaltung realisierbar sind.
Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung
Jan, Kulturdisplace
(Stand: 24.10.2007)